Denn sie wissen nicht, was sie buchen

Abreisen ohne Ahnung, wo man ankommt: Ein alter Kitzel wird neu belebt.

Von: Andreas Güntert

 

Der Internaut

Der Beitrag erschien im April 2016 auf derinternaut.ch

Früher war mehr Spannung. Als Airline-Tickets noch teuer waren, bedeutete eine Flugreise für Normalsterbliche: Abenteuer und Aufregung. Abenteuergefühl, wenn man das vielblättrige Papier-Ticket in der Hand hielt. Aufregung und Herzklopfen beim Check-In. Freudige Erwartung, wenn elegante Flugbegleiterinnen – man dufte «Stewardess» sagen, mit Flugi-Food anrückten.

Heute sind die Preise im Keller. Viele Zeitgenossen buchen Jet-Trips so beiläufig wie sie früher ein Bus-Ticket von Effretikon nach Tagelswangen lösten. Man klickt den gewünschten Tarif im Netz an, lädt sich die Boarding-Karte aufs Handy, handyfoniert sich durch die Schranken am Flughafen, zwängt sich in die immer engeren Economy-Sitze – fertig.

Die einzige Unbekannte, die heute bei einem Europa-Kurztrip bald noch bleibt: Müssen wir die Schuhe bei der Sicherheitskontrolle ausziehen oder lassen sie uns inklusive Latschen durch? Falls ersteres der Fall ist, ergibt sich vielleicht noch dieser gruslige Rest-Kitzel: Welcher Mitpassagier hat am meisten Löcher in den Socken?

Blindes Buchen. Um das Kitzel-Element wieder ein wenig zu beleben, propagieren Jungfirmen eine Form des Reisens, die das «Wohin» verdunkelt. Man bucht einen Trip, weiss dabei aber noch nicht, wohin die Reise führt. Mit diesem Konzept sind hierzulande gleich zwei Ostschweizer Start-ups angetreten. Da ist einmal die St. Galler Firma Surp, die Überraschungsreisen in Europa anbietet. Im Fokus sind Städte, die nicht mehr als drei Flugstunden von Zürich oder Basel entfernt sind.

Beim Buchen weiss man noch nicht, wohin die Reise führt. Das erfährt man erst am Flughafen, wenn einem das Ziel in einem orangen Couvert präsentiert wird. Etwas früher merkt man bei bbacksoon, wohin es geht: «Die „Go!“-SMS und alle Reiseunterlagen per E-Mail erhältst du entweder am Vorabend deiner Abreise oder unmittelbar vor Start», heisst es bei den Appenzellern, die auch Trips im Inland auf ihrer Geheimliste haben.

Ping-Pong-Flug. Die Art, wie diese Unternehmen den Nervenkitzel ins Reisen zurückbringen wollen, erinnert mich etwas an die Joker-Hotel-Aktionen von früher. Helvetische Reiseveranstalter verrieten dabei wohl, wohin die Reise ging. Aber erst vor Ort erfuhr man, in welchem Hotel man einquartiert war. Der Deal: Überraschungsmoment für den Reisenden, Flexibilität für den Reiseveranstalter, der mit seinem Zimmern vor Ort jonglieren konnte. Die Schweizer Hotelgruppe Sunstar führt heute noch im Inland solche Joker-Angebote,  man weiss aber schon sieben Tage vor Abreise, wo man sein Haupt ganz konkret betten wird. Bei der guten alten Swissair waren einst «Ping-Pong-Flüge» en vogue: Man buchte eine Flug, ohne zu wissen, wohin er führen würde. Was man in der Regel wusste: Es ging am gleichen Tag wieder zurück. So füllte die Airline Restplätze. Bei den Airlines kennt heute noch Eurowings die Form des «Blind Bookings», bei welcher man sein Flugziel erst nach Abschluss der Buchung erfährt.

Ich kann mir vorstellen, dass der Reise-Nervenkitzel, wie ihn Surp oder bbacksoon  anbieten, für Reisen in der Gruppe spannend sein kann. Etwa für den Firmenausflug, das Mädels- oder Jungs-Weekend. Selber würde ich das wohl weniger tun. Ich brauche keine Extra-Überraschung. Weil für mich der alte Kitzel auch der neue Kitzel ist: Die Reise an und für sich. Abgesehen vom Socken-Thrill, natürlich.